Hati Story

Ich verließ die Hauptstadt, das Schloss im Kern des Ätherbaums mit einer Kolonne aus Infanterie und Geheimdienst, fünf Minuten Verspätung. Keine zehn Minuten später passierten wir die letzte Sicherheitszone, der Weg in die Schlucht war endlich frei. Ich sollte in Feierlaune sein. Sah ich so aus? Ganz bestimmt nicht. Ich rümpfte meine Nase und holte Luft – tief Luft. An den Slums und Wurzeln der Hauptstadt fuhren wir vorbei und ich bereute meine Entscheidung sofort. Gestank quetschte sich durch die Lüftung unserer Karosse, verdarb mir die Vorfreude auf das Gespräch. Ich schenkte ihnen ein zweites Leben nach dem Verrat an der Krone. Sie bedankten sich mit Gestank. nicht Grund genug, sie in den Abgrund zu werfen, verhöhnten sie mich mit ihrem Gestank. Ich atmete lange aus und starrte in die verbitterten Gesicht, die sich nichts sehnlicher wünschte, als meine Kolonne in die Luft gehen zu sehen. Dann kam die Gasmaske auf die Nase. Ich konnte euch beruhigen: ich hatte eine Aufgabe, die wichtiger war als der Tod. Die Riegel rasteten ein, der Aufzug fuhr uns in zwei Etappen von den Seitenstraßen der Schlucht, tiefer in dessen Zentrum. Von hier unten sah man die Wurzeln des Ätherbaumes in all seiner Pracht, irgendwo dazwischen versteckte sich das Schloss. Es gab zwei Verbindungsstraßen, die in den Kerker führten, der mitten in der Schlucht schwebte. Zwei potenzielle Schwachpunkte für Angriffe von außerhalb. Bewacht wurden sie von den loyalsten Wolfskindern meiner Schutzbrigade. Sie lächelten mich an, ich lächelte zurück. Ich war stolz auf sie, sie stärkten mir den Rücken, immerhin waren wir alle keine Menschen – dass mein Weg der richtige war, daran glaubte ich fest.

Wolfskinder waren loyaler als jeder Mensch, spätestens seit meinem erfolgreichen Putsch konnte ich auf ihre Hilfe nicht mehr verzichten, ironisch – ein wenig – dass es genau ein Wolfskind gab, das mir entwischt war und eine Verräterin, die sich mir widersetzte. Die Kolonne hielt im Kreis um den Eingang zum Gefängnis. Silberstahl verhärtet, Wolfskinder verbrannten bei Berührung. Ich ging alleine weiter, ich brauchte keinen, der mir in den Rücken fiel. Das neunte Schloss öffnete sich und wurde geschlossen, sobald ich hineinging. Ein Stahlgitter als Lauffläche, in der Mitte eine weitere Zelle aus Silberstahl, die mit Seilen befestigt über dem Abgrund schwebte. In der Zelle selbst lag ein Stück Parkett aus, auf dem sie saß. Das Gefängnis wurde extra für sie gebaut. »Du bist alt geworden.« sagte sie noch bevor ich meine Gasmaske absetzte. Ich ignorierte sie und kramte das Equipment aus dem Koffer, den ich von meinem engsten Stab habe vorbereiten lassen. »Graue Haare hattest du schon bei unserem letzten Treffen, aber Falten? Das macht keinen guten Eindruck bei den Frauen, nicht, dass jemals eine von ihnen deine Schwanzfedern freiwillig ablecken würde.« Ich knipste den ersten Scheinwerfer an und blendete sie hoffentlich lange genug, dass sie ihre vorlaute Schnauze halten würde. Den zweiten platzierte ich auf der gegenüberliegenden Seite des Laufgitters, damit ihr Gesicht perfekt ausgeleuchtet war. Ihr doppelter Schatten flog auf die Silberstahlwand hinter ihr. Schade, dass Schatten nicht brennen konnten. »Eine Kamera, wie fortschrittlich. Keine Kosten und Mühen werden gescheut, um die besten Freunde zu foltern.« Ich legte den Film ein und ließ sie rechts von mir dahinklackern. Das Mikrofon befestigte ich an der Gitterstange, meinen Klappstuhl breitete ich so aus, dass ich auf Augenhöhe mit ihrer Menschenfratze war. Ich spuckte ihr ins Gesicht und gab mich mit dem Abstand zufrieden. Ich hob meine Brille, rieb mir die Augen und setzte mir mein gewöhnlich freundliches Lächeln auf. Der Speichelfleck an ihrer Wange war bereits verschwunden. »Deine Bedenkzeit ist abgelaufen«, sagte ich mit Notizblock und Stift in der Hand und begann zu schreiben. »Ich beantrage eine Verlängerung. « »Du hattest ausreichend Zeit.«

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»Väterchen Zeit war auch nicht gerade gnädig mit dir. Darf ich raten, wie viele Rückenhaare es mittlerweile sind? Ich fange bei fünfhundert an zu zählen– « Ich kam nicht unbewaffnet in das Gespräch, ich trug einen Handschuh an der linken Hand, er brachte die Sporen des Ätherbaums in der Luft zum Explodieren. Auch in der Lunge des Einatmers. Den nächsten Satz verschluckte sie und hustete das Blut aus ihrer Lunge. Ich spürte ein Ziehen an derselben Stelle. Seitdem ich meine Gasmaske abgesetzt hatte, waren einige Sporen bereits in meinem Blutkreislauf. Doch das war Opfer genug, zu wissen, dass es wirkte. Zu sehen, wie sie litt, war Genugtuung genug. Sie grinste trotzdem. »Du kennst meine Antwort, warum bist du hier?« »Ich habe eine neue Beschäftigung gefunden, dafür brauche ich deine Hilfe. Als Entschädigung erlöse ich dich von deinem Leid. « Sie holte tief Luft und stöhnte danach. »Du riechst nach Angst. War gestern dein zehnter Geburtstag? Das Alter macht nachdenklich – dir bleiben vielleicht 3 Jahre, um dein Vermächtnis zu vollenden. Aber was, wenn ich mich bis dahin weigere? Dann bleibt von dem Königsmörder nur noch Staub und Federschmuck übrig. Mittelfinger und Daumen presste ich zusammen – ich weigerte mich zu schnipsen. Die Drohung brauchte ich für später. »Die Filmrolle ist auf zwei Stunden begrenzt, ich finde wir sollten anfangen. Welche Schuhgröße tragen Wolfskinder am häufigsten? « »Frag deine Haustiere vor der Tür, vielleicht sind sie so ehrlich um dir zu erklären, dass die Natur ihnen vier gesunde Pfoten geschenkt hat. Falls nicht hast du sie schon perfekt dressiert. Und dann frage ich mich, wieso sich ein Vogel wie du um Schuhwerk bemühst. »Eine Welt ohne Kompromisse ist keine lebenswerte Welt. « »Und deine Kompromisse fangen bei den Schuhgrößen von Haustieren an? « »Ich suche Gerechtigkeit in einer Welt, die keine kennt. «

»Und du glaubst, du findest sie bei mir? Ist deine Demenz so groß, dass du vergessen hast, wie ich in dieser Zelle geendet bin? Oder willst du deine Verantwortung an Gottes Willen verkaufen?« Unterbewusst erhoffte ich mir nicht viel von diesem Gespräch. Was hätte sie mir erzählen wollen, was ich nicht schon längst wusste? Ich musste keine fünfzig Jahre leben, um die Welt zu verstehen. Meine Flügel versteckte ich zwar vor der Außenwelt, mein Lernerfolg war nach wie vor tadellos. Und trotzdem war da diese Hoffnung in mir, dass das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein könnte. »Das Alter macht nachdenklich, mein armer Aegeos. « »Deine Schwester ist auf dem Weg in die Hauptstadt«, sagte ich und erwartete eine schockierte Reaktion. Stattdessen legte sie sich auf den Rücken, schmiss die Beine nach oben und drehte sich mit ihrem Oberkörper in einen Handstand. Gerade kurz genug, den Silberstahl zu verfehlen. »Ist das nicht schön? Sie ist verblendet genug, es noch einmal zu versuchen. Das Schicksal ist mit den Dummen.« »Sie bringt eine Geschichte mit sich, die die ganze Welt umspannt. Ich werde sie willkommen heißen, ihr zuhören, ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen, ihre Antworten aufnehmen und der Nachwelt schenken. « »Und sie wird sich das gefallen lassen? « »Ihre Legende wird mein Vermächtnis sein. Und du wirst deinen Zweck in dieser Legende erfüllen, als unterstützende Kraft. « »Was ist mit der Kleinen? « »Sie wird ihre Bestimmung erfüllen und diese Welt verlassen. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit« »Er beginnt zu verfallen, unser aller Ätherbaum. Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, eine so wichtige Rolle in deiner Geschichte einzunehmen, mein König. Ich werde dir jeden Wunsch von deinen vertrockneten Lippen ablesen, unter einer Bedingung.« »Das bin ich dir schuldig. « »Wenn wir uns in der Hölle wiedersehen, erzähle mir alles davon. Mit welchem Blick sie dich aus dieser Welt gerissen hat.« Ich war kein Monster, ich konnte zugeben, wenn ich Angst hatte. Wenn mein Puls sich verdoppelte und der Schweiß von meinen Nasenflügeln auf die Brillengläser tropften. Wenn meine Zähne klapperten und mein Rachen einer Wüste glich. Ich hatte gehofft, dass ich genau dieses Gefühl hier und jetzt erleben musste. Leider enttäuschte sie mich. Meine Schriftart war unberührt, meine Zeichensetzung und Grammatik perfekt. Ich schrieb weiter als wäre nichts gewesen und stimmte ihren Bedingungen zu. »Dann lass uns beginnen.«